Donnerstag, 11. August 2011

Der Kniefall von Guam - Bein 4

Das gebuchte Hotel erweist sich als Glücksfall. Neben unzähligen Restaurants und einem Spielcasino beherbergt es tatsächlich eine kleine Klinik. Ein kurzer Anruf und bereits wenige Minuten später klopft es an der Zimmertür: Eine veritable Krankenschwester, weiss gekleidet von Kopf bis Fuss und ausgestattet mit apartem Köfferchen, betritt das Zimmer. Ihr bewaffneter (!) Leibwächter wartet indessen vor der unverschlossenen Türe. Offenbar erwarten gewisse Hotelgäste von einer „Nurse“ auch nicht-medizinische Behandlungen. Während sie Herrn Gantenbein inspiziert (er scheint dabei etwas zu erröten) seufzt sie tief und verspricht mir, am nächsten Morgen den Arzt zu verständigen, nicht ohne mich auf mögliche Folgekosten aufmerksam zu machen. Sie organisiert beim Hausdienst ein paar zusätzliche Kissen – damit ich Gantenbein auch schön brav hoch lagern kann – und verabschiedet sich samt Leibwächter.

Freitagmorgen 09.00 Uhr, Manila, Heritage Hotel. Die Hotelärztin erscheint mit Nurse und Leibwächter und will mich sofort in ein Krankenhaus einliefern. Ich widerstehe diesem Ansinnen, bitte sie jedoch um zusätzliche Dosen Antibiotika. Sie verschreibt mir Augmentin und lässt das Medikament von einem Hotelkurier in einer Apotheke abholen. Die Kosten dafür belaufen sich – inklusive Lieferung – auf knapp über 1'000 Pesos, gerade mal etwa CHF 26.— . Die Einsätze der Dottoressa inkl. Krankenschwester werden mir vom Hotel mit CHF 25.— in Rechnung gestellt: Meine Krankenversicherung wirds ungemein freuen.

Gegen Abend fahren wir zum Flughafen. Einmal mehr bewährt sich unsere Aufgabenteilung: Monika verhandelt mit dem netten Mitarbeiter von Singapore Airlines über einen besonders beinfreundlichen Platz, ich versuche etwas leidend zu wirken ohne jedoch zu übertreiben, Gantenbein schweigt. Und so sitzen wir auf dem Flug von Manila nach Singapur tatsächlich auf Plätzen mit viel Freiraum für Herr Gantenbein. Er wird wie üblich höher gelegt, tüchtig gesalbt und laut gepriesen („Ein Halleluja für ein Bein“).

Bevor das Nachtessen serviert wird studiere ich den Beipackzettel des Antibiotika. Angesichts der angedrohten Nebenwirkungen dürfte es bei vielen Menschen zu sogenannten Spontanheilungen kommen. Nicht so bei mir und ich bestelle – Mediziner sollten diesen Satz nicht zu Ende lesen – bei der schönen Maid ein Glas Rotwein. Gantenbein verdankt mir den medizinischen faux-pas und gibt Ruhe.

Samstagmorgen 01.00 Uhr, Flughafen Singapur. Der letzte Flug steht bevor, gegen Morgen werden wir in Zürich landen, Monika hat beim Hausarzt bereits einen Termin erhalten. Gott sei Dank haben wir sogenannten „preferred seats“ gebucht, es handelt sich um Plätze neben einen Notausgang. Nicht das ich gedenke, diesen zu benutzen, aber der freie Platz davor ist gigantisch (schliesslich befinden wir uns auch im Upperdeck eines brandneuen Airbus 380).
Da sich jedoch auf solchen Plätzen nur „unversehrte Menschen“ niederlassen dürfen, muss ich mit Herrn Gantenbein noch ein paar ernsthafte Worte wechseln.
„Du wirst dich ab jetzt völlig ruhig verhalten, weder sinnlos zucken, zittern oder zabeln und vor allem hältst du dein vorlautes Maul, ist das klar?“
Gantenbein zickt.
„Warum musst du auch mit mir um die halbe Welt fliegen, Rimini hätt es doch auch getan!“
Ich gedenke nicht, ihm zu antworten. Beine haben immer das letzte Wort!

Irgendwo über Afghanistan meldet sich Gantenbein zurück. Ich schleppe mich zur Bordtoilette und sehe ihn mir etwas genauer an. Offenbar ist er immer noch beleidigt und hat beschlossen, sich noch ein paar neue Symptome zuzulegen. Eine ganze Familie von Blasen überzieht den Oberschenkel. Die Grösse variiert zwischen Oberbaselbieter Kirschen und Fellenberger Zwetschgen. Eine aber beunruhigt mich ausserordentlich. Sie gleicht verblüffend dem Kopf von E.T., wächst direkt aus der Kniekehle und hat die Grösse eines Weinbergpfirsichs. Vorsichtig berühre ich meinen neuen ausserirdischen Freund. Das hätte ich besser bleiben lassen! Er bedankt sich für die Streicheleinheit indem er kurzerhand explodiert und die halbe Toilette versaut. Ich reinige den Airbus so gut es geht und schleiche zu meinem Sitz zurück.

Samstagmorgen, 11.00 Uhr, fast zu Hause. Auf dem Weg vom Flughafen nach Hause stoppen wir beim Hausarzt. Er weist uns direkt als Notfall ins nächste Spital ein.
Bevor sich ein Mediziner um das Bein kümmern kann, werden wir administrativ begutachtet. Ich erzähle dem Wächter der Heiligen Pforte von Herr Gantenbein und seinem Unglück. Ich kann ihn nur knapp daran hindern mich in die Psychiatrie einzuliefern und versuche ihm klar zu machen, dass doch Gantenbein nur der Künstlername meines Beines sei. Die nächste Fragebringt die Verhandlungen zum Stocken.

„Unfall oder Krankheit?“
„Keine Ahnung, wissen Sie……“
„Unfall oder Krankheit?“
„Es könnte beides sein.“
„Unfall oder Krankheit?“
„Was war zuerst? Das Huhn oder das Ei?“ frage ich ihn.
„Wieso?“
„Weil ich nicht weiss ob zuerst die Fliege war, oder eine Kokke oder vielleicht wars doch Hugentobler der mir auf den Fuss gestanden ist.“
„Gut, dann nehmen wir die Krankheit. Wann wurden sie krank?“
„Keine Ahnung.“
„Wann wurden sie krank!?“
„Vielleicht wars doch ein Unfall, wissen sie…..“
„WANN W-U-R-D-E-N sie krank?“
„Vielleicht am Montag?“ frage ich zurück. „Es könnte aber auch am Mittwoch gewesen sein. Oder am Samstag.“

In der Zwischenzeit hat sich eine lange Kolonne mit Notfällen gebildet. Um das Verfahren abzukürzen und mögliche Todesfälle zu verhindern, wende ich mich an den Hintermann.

„Sagen sie mir eine Zahl zwischen 1 und 30.“
„29!“ – ruft er und ich wende mich erleichtert an den Hausmeister.
„Am 29. Juni 2011!“
„E voilà! Geht doch!“


Die Geschichte findet hier ihr vorläufiges Ende. Geschrieben allerdings wurde sie noch nicht.


Der Beinfall von Guam - Teil 3

Es ist immer noch Donnerstagabend, 7. Juli 2011 und ich bin soeben den Klauen des amerikanischen Imperiums entkommen. Noch immer werden die Eingangspforten zum Gelobten Land von heiratswütigen Japanern belagert. (Weshalb es besonders sinnlich sein soll auf dem grössten nuklearen Waffendepot der Welt zu heiraten, dürfte ein fernöstliches Mysterium bleiben. Dass Guam nur wenige Kilometer von Tinian entfernt liegt, wo vor 66 Jahren die amerikanischen Flugzeuge mit den Atombomben für Hiroshima und Nagasaki gestartet sind, macht die Geschichte auch nicht wohliger.)

Angesichts der Warteschlangen lass ich mich von Herrn Gantenbein erweichen, das Angebot der
Flughafenmission („Praise the Lord!“) anzunehmen und setze mich auf den dargebotenen Rollstuhl. Dank dieser göttlichen Fügung dürfen wir den Diplomatenschalter benutzen, reisen mal kurz in die USA ein um gleich wieder auszureisen (Guam verfügt zwar über einen Transitbereich. Seit der amerikanische Geheimdienst jedoch hinter jedem Barthaar einen wild gewordenen Iman vermutet, ist hier alles ein wenig kompliziert geworden.)

Nach der letzten Sicherheitskontrolle entledige ich mich des himmlischen Gefährts und wandle fortan wieder auf eigenen Füssen. Obwohl sich Gantenbein fürchterlich aufregt und mir seinen Gemütszustand durch wilde Zuckungen auch deutlich zeigt: diesmal gibt’s kein Erbarmen. Jetzt heisst es, auf keinen Fall auffallen, schon gar nicht in der Nähe eines Continental Schalters.

Zusammen mit Gantenbein, mehreren Tuben, Töpfen und Tabletten ziehe ich mich auf die nächste Toilette zurück. „Mein lieber Jolly!“ entfährt es mir, als ich mir Gantenbein genauer betrachte. Da dieser Text möglicherweise auch in die Hände von Minderjährigen, Vampiren und Menschen mit empfindlichen Mägen gelangen könnte, verzichte ich auf reisserische Details. Sagen wir es so: Herr Gantenbein hat weiter an Gewicht und Umfang zugelegt und schillert jetzt in allen verfügbaren Rottönen. Weiterreichende Informationen zum Thema „Rot“ finden sie bei Wikipedia.

Nun gilt es, das Bein allenthalben zu salben und auf den Flug nach Manila vorzubereiten. Gantenbein mag das Gesalbe ganz offensichtlich und schnurrt leise vor sich hin. Bevor irgend ein bigotter Hilfssheriff auf falsche Gedanken kommen kann, dröhne ich mich mit Antibiotika, Entzündungshemmern, Schmerzmitteln und Tabletten gegen allfällige Thrombose zu, packe anschliessend die Apotheke wieder zusammen und schlendere betont locker Richtung Gate 17.

„Die werden Sie kaum mitnehmen!“ Diese Drohung liegt mir schwer im Magen als ich mich dem Warteraum nähere. Was sollte ich denn tun hier in Guam, am sprichwörtlichen Arsch der Welt? Etwa eine Weinbar eröffnen? Da würden sich ja sogar mikronesische Hühner totlachen! Nein – ich muss hier weg – koste es was es wolle!

Ich versuche, mein Äusseres so gut wie möglich zu verändern. „Staatsbürgerschaft: Schwedisch“, hatte der Cowboy protokolliert! Denen werde ich wohl am besten den Italiener geben. Ich setze mir die grauenhafte Riesensonnebrille auf, öffne mein Hemd bis fast zur Taille und borge mir von Franco ein güldenes Kruzifix das ich an meinem Brillenband befestige und über meine Heldenbrust baumeln lasse. Sorry Franco – aber dieser Griff in die Trickkiste musste einfach sein!
Als der Junge vor mir seine Baseballmütze fallen lässt, schnappe ich sie mir, setze sie auf und gehe schnurstracks Richtung Ausgang, Richtung Freiheit. Dabei halte ich das Handy ans Ohr und rufe immer wieder mal „Mamma! Si! No! Mamma! Ciao! Si! Mamma….“.
Während ich meine Bordkarte abgebe, wende ich mich leicht ab und rufe noch mal laut und deutlich „Mamma!“. Der Bordkartenverwalter von Continental äussert sich abfällig über irgendwelche Spaghetti und wünscht mir einen guten Flug!

Ich habs geschafft! „Gantenbein, wir haben es geschafft! In ein paar Stunden sind wir in Manila, da gibt’s wunderbare Spitäler, nette Ärzte und…..“
„……..und vor allem keine Amerikaner!“, brüllt Gantenbein lautstark aus der unteren Etage. Ich versuche ihm den vorlauten Mund zu stopfen und ersticke ihn mit einem Kopfkissen.

Der Beinfall vom Guam - Bein 2

Donnerstagmittag 7. Juli 2011. Noch befinden wir uns auf dem Flughafen von Chuuk. Monika beschwatzt Herrn Mori von Continental Airlines, uns doch zu Zweit in eine 3er-Reihe einzubuchen. Weil doch der Ehemann ein böses Bein habe und dieses deshalb hoch lagern müsse.
Ich humple demonstrativ ein paar Schritte auf und ab, obwohl mich das Bein zur Zeit nicht schmerzt. Herr Mori ist tief beeindruckt von meinem Laientheater und sichert uns zu, uns neben einem freien Sitz zu platzieren. Was Herr Mori zu dieser Zeit offenbar noch nicht wusste war die Tatsache, dass Dutzende von Passagieren mit Standby-Tickets noch auf genau solche Plätze warteten. Und so setzte sich dann auch ein fröhlicher mikronesischer Doppelwhopper auf den freien Sitz.
Der Flug nach Guam dauert jedoch nur knappe zwei Stunden und ich verspreche meinem Bein, mich anschliessend wieder um es zu kümmern.
Um Es zu kümmern? Mein Bein ist doch kein Es! Es ist mir nicht nur angewachsen (Gott sei Dank!) sondern in der Zwischenzeit auch ans Herz gewachsen. Ich werde Es deshalb mit einem gescheiten Namen versehen.
Da mein Bein wohl kaum weiblich sein kann, teste ich einige männliche Varianten. Vielleicht Garibaldi, in Anlehnung an dessen streitbare Rothemden oder gleich Barbarossa wie mein Lieblingskaiser? Auf Grund seiner Färbung könnte ich ihn auch Citterio, Schüblig oder Winnetou nennen, aber man soll ja das Schicksal nicht herausfordern. Nachdem sich der Umfang meiner rechten unteren Extremität während der Namenssuche verdoppelt hat, denke ich kurz über Israel „Izz“ Kamakawiwo’ole, den unglaublich fetten Hawaiianer mit der kleinen Ukulele und der sanften Stimme nach und lehne diese Idee umgehend ab. Das muss doch auch einfacher gehen! Ich gehe kurz in mich um mit Max Frisch wieder heraus zu kommen: „Dein Name sei Gantenbein!“

Willkommen in Guam, mein lieber Gantenbein. Du befindest dich in God’s Own Country, dem westlichsten Zipfel der USA. Guam ist amerikanisches Territorium, theoretisch somit zivilisiert und wird mehr oder weniger direkt von der amerikanischen Heimatschutzbehörde verwaltet. Und auf diesem wunderbaren Flughafen werden wir nun einen Arzt für dich finden der dir stärkere Antibiotika verschreiben wird.
Die Schlangen vor den Schaltern der Grenzkontrolle ziehen sich munter von links nach rechts durch die hoheitliche Mehrzweckhalle und ich befürchte, dass uns die Zeit nicht reichen wird. Ich setzte mich mit Gantenbein in eine Ecke und Monika macht sich auf die Suche nach Rat und Tat.
Eine erste Auskunft ernüchtert: Nein, hier gibt’s keinen Arzt. Aber das Spital wäre ganz in der Nähe, nur 5 Minuten vom Flughafen. Tönt verlockend. Allerdings werden uns Wartezeiten von bis zu fünf Stunden angedroht. Die Umsteigezeit aber beträgt knappe drei Stunden.
„Kommt gar nicht in die Tüte!“ ruft Gantenbein.
Obwohl ich es unerträglich finde, dass Beine meinen sie müssen sich in jeden Scheiss einmischen, verzichte ich auf eine rässe Antwort. In der Zwischenzeit haben sich mehrere Beamte um uns versammelt, reden alle unnütz daher, wissen gar nichts und hindern mich am nachdenken.

„Paramedics?“ fragt plötzlich eine beamtete Oberschwester. „Soll ich die Paramedics rufen?“ Tönt besser als gar nichts und ich nicke. Sie spricht in ihr 5-Kilo-Funkgerät. Nach weniger als 2 Minuten sind wir (Ich und Gantenbein, Monika sowie unsere Mitreisenden und moralischen Stützen Franco und Iris) von 8 Mannen und Frouen der guamesischen Feuerwehr umzingelt. Dreitausend Japaner beobachten fasziniert dieses Beispiel amerikanischen Powerplays. Vermutlich denken sie, dass hier ein Hollywoodschinken gedreht wird und erwarten jeden Moment den Auftritt eines Schwarzeneggers.
Ich benutze einen Moment der Unaufmerksamkeit meines Wärters, mache zwei Schritte gegen das Publikum und verneige mich tief. Ein Raunen geht durch die Menge, vereinzelt wird geklatscht.
Der Feuerwehrhauptmann holt mich abrupt in die Wirklichkeit zurück und deutet auf die mitgebrachte Bahre:
„Hospital!“.
„No!“ erwidere ich laut und deutlich. „No Hospital!“
Er nimmt Haltung an, setzt einen unglaublich wichtigen Gesichtsausdruck auf und zückt ein Formular.
„You have to sign this form - now!“
Bevor ich irgendetwas unterschreiben kann, wird mein Arm unsanft auf die Bahre gedrückt und der Oberschlauchführer der guamesischen Feuerwehr macht sich daran, meinen Blutdruck zu messen.
Die japanischen Zaungäste starten eine erste, allerdings noch zögerliche Ola-Welle, vereinzelt hörte man Hopp-Schwiiz-Rufe.

Von rechts hat sich in der Zwischenzeit ein Hilfsbrigadier in Stellung gebracht, reisst an meinem Handgelenk und misst unter erschwerten Bedingungen meinen Puls. Der Schriftführer des SWAT-Teams protokolliert peinlich genau alle Angaben. Ich finde, die ganze Situation gerät langsam ausser Kontrolle und mache mir Gedanken über mögliche Fluchtwege. Als ich jedoch plötzlich die Mündung eines Revolvers vor meinen Augen erblicke, ergebe ich mich der Allmacht des amerikanischen Imperiums und mache mir erste Gedanken darüber, ob in Guantanamo wenigsten am Sonntagabend ein Glas Wein zum Essen serviert wird.
Ich merke, dass mir Herr Gantenbein etwas mitteilen möchte, er zuckt so komisch. Ich sehe mir deshalb die Artillerie etwas genauer an. In diesem Moment drückt der uniformierte Heini ab und ein leises „Plopp“ – es könnte auch ein „Blopp“ gewesen sein – verlässt seine Waffe.
„No fever, Sir!“ meldet sich der schiessende Fiebermesser und lächelt etwas gequält. Kein Fieber, toll.

Nachdem ich nun von oben bis unten vermessen worden bin, muss ich das gelbe Formular an mehreren Stellen unterzeichnen. Obwohl das Papier einige Mängel aufweist, Schweizer immer noch nicht schwedische Staatsbürger sind und der dicke Oberfeuerwehrhauptmann locker Celsius mit Fahrenheit vermischt und das nicht vorhandene Fieber als Körpergewicht eingetragen hat: Ich unterschreibe ALLES. Nur raus aus diesem Affenkasten!

Zum Abschied gibt’s noch ein paar unverständliche Belehrungen; ich schwöre bei Gott, Vaterland und Präsident Obama das ich nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt habe und will mich von dannen machen.
„Stop!“
Diesmal ist es eine Beamtin der Heimatschutzbehörde die mich, Gantenbein und die andern darauf aufmerksam macht, dass sie die Resultate des Gesundheitschecks (sic!) dem Station Manager von Continental Airlines übergeben habe. Es sei wohl eher unsicher, dass die mich zusammen mit Gantenbein nach Manila mitnehmen würden. „Good bye – see You soon!“
Es ist Donnerstagabend, 7. Juli 2011.

Der Beinfall von Guam - Bein 1

Vorwort

Die meisten wissen es bereits, den anderen sei es hiermit kund getan: Ich liebe die Satire, hasse Interpunktionen, Missionare und Besserwisser. Meinen deutschen Freunde sollten eigentlich wissen, dass wir in der Schweiz das scharfe ‚S’ nicht kennen und gewisse Dialektausdrücke in keinem Fall germanisieren wollen.

Einleitung

Dies ist die Geschichte einer abenteuerlichen Reise durch die Inselwelt Mikronesiens. Sie beginnt aus dramaturgischen Gründen mit dem letzten Kapitel. Es ist die Geschichte eines Beins auf der endlosen Reise nach Hause. Aus gegebenem Anlass hat die Geschichte keine Kapitel sondern Beine.



Bein 1

Dienstag, 5. Juli 2011. Ich tauche ein letztes Mal ein in die Geschichte des 2. Weltkrieges. Morgen ist ein Ruhetag angesagt bevor es zurück nach Hause geht. Der Tauchgang führt uns zum Wrack der I-169 Shinohara, einem U-Boot der japanischen Marine. Es fand hier in der Lagune von Chuuk sein nasses Grab als es aus Versehen von der eigenen Mannschaft versenkt wurde. Ein falsch interpretierter Funkspruch, ein überhasteter Notabstieg mit noch geöffneten Lüftungsrohren und stümperhafte Rettungsversuche forderten das Leben von über 60 japanischen Soldaten.

Der Tauchgang ist relativ kurz, das Heck liegt in einer Tiefe von 46 Metern, nach einer Stunde sind wir wieder zurück auf unserer Basis, der S.S.Thorfinn. Dieses Schiff war unser Zuhause während der letzten 2 Wochen. Die Thorfinn ist ein umgebauter norwegischer Walfänger der Arctic Class, das wohl letzte Dampfschiff seiner Art im Einsatz als Liveaboard für abenteuerlustige Taucher.

Der Himmel ist wie üblich leicht bedeckt, die Temperatur beträgt 31 C. Auch während des Tauchens kühlt man kaum aus, die durchschnittliche Wassertemperatur sank währen der letzten Wochen nie unter 29 Grad. Zurück an Bord wird geduscht, der Salzgehalt in der Lagune ist überdurchschnittlich, jede Geiss hätte Freude an meiner Haut zu knabbern. In der Lounge warten Getränke und kleine Snacks. Trotz der Bruthitze kommt mein Körper nicht auf Touren. Es fröstelt mich leicht, ich ziehe mir eine Windjacke über und verzichte auf den nächsten Tauchgang. Noch führe ich das leichte Unwohlsein auf die Strapazen der letzten Wochen zurück. Das Mittagessen wird mich sicher wieder
aufbauen.

Nach ein paar Bissen aber ist Schluss, ich friere. Aus dem kurzen Nickerchen wird ein unruhiger Schlaf. Schüttelfröste durchziehen meinen Körper, es ist kalt. Kalt. Bei geschätzten 35 und gefühlten 45 Grad Celsius. Monika verabreicht mir erste Dosen Alcacyl und versucht mir Flüssigkeit einzuflössen. Nicht ganz einfach bei einem Patienten der nicht mehr im Stande ist, ein Glas selbst zu halten. Ich schüttle weiter, wälze mich unruhig hin und her. Die Bettlaken sind in Kürze völlig nass. In meinen fiebrigen Träumen (die ich nicht hatte und deshalb erfinden muss) steht die ganze Kabine unter schweisshaltigem Wasser. Die Lichter flackern, verdunkeln sich, japanische Soldaten entsteigen einem U-Boot und schwimmen auf mich zu. Sie haben keine Gesichter.

Mehr Alcacyl, Wasser, Monika füttert mich mit fischen Früchten aus der Bordküche. Ich rauche nicht mehr was mich ausserordentlich beunruhigt und schüttle weiter ungemütlich vor mich hin. Alcacyl, Wasser, Früchte. Und immer wieder Eiswickel gegen das Fieber. Gegen Mitternacht tritt eine erste Beruhigung ein, ich schlafe mehr als ich schüttle. Monika übernimmt die Nachtwache und flösst mir regelmässig Wasser ein. Gegen Morgen schleppe ich mich aufs Deck und nippe an einer Tasse Tee.

Mittwochmorgen 6. Juli 2011.: Es ist kurz vor Sechs und eigentlich wäre ein tropischer Sonnenaufgang angesagt. Wird jedoch wohl nicht stattfinden. Der Himmel ist grau, aus allen Himmelsrichtungen nähern sich Regenfronten. Ich zünde mir einen Zigarillo an und weiss: ich habs geschafft.
Das Laufen bereitet mir noch etwas Mühe, das rechte Bein schmerzt. Als ich mir den Unterschenkel genauer ansehe werde ich nachdenklich. Ein roter Strich zieht sich vom Fuss Richtung Knie. Es fühlt sich heiss an und schmerzt. Und es sieht genau so aus wie das Bein unseres Captains bei dem zwei mitreisende Ärzte eine schwere Infektion diagnostiziert haben. Allerdings hatte er sich zuvor im Maschinenraum leicht verletzt. Ich jedoch kann bei mir keine Verletzung feststellen. Gut, ein paar kleine Schrunden an den Zehen, kaum zu sehen.

Schwester Monika greift zu deutlich schwererem Geschütz: Antibiotika, Entzündungshemmer, Schmerzmittel. Eis auflegen, Bein hoch lagern, Flüssigkeit trinken. Der Tag wird lang und länger, die Nacht will nicht enden. Doch morgen geht’s nach Hause – wird schon alles schief gehen, grosses Indianerehrenwort.

Donnerstagmorgen 7. Juli 2011. Das Morgenrot hat keine Chance gegen die aufgehende Röte an meinem Bein. Auch der Oberschenkel ist jetzt rot. Wussten sie dass es so viele Nuancen von Rot gibt? Monika hat bereits gestern unsere Koffer gepackt, ich hätts allein wohl nicht gepackt. Ach ja, auch das noch: Eine der Zehen ist über Nacht ergraut und ähnelt leicht einem vergammelten Wienerliabschnitt.

Gegen 09.00 verabschiede ich mich vom Captain. Ob ich an Weihnachten auch mit nur einem Bein zurück kommen könne, möchte ich von ihm wissen. Klar. Wir werden dir dann allerdings zusätzlich eine Augenklappe (schwarz) verpassen und dir einen besoffenen Papagei (farbig) auf die Schulter binden. Noch weiss ich nicht, wie ich die Flossen am Holzbein fixieren werde beschliesse jedoch, mir vorläufig keine Gedanken darüber zu machen. Wir wünschen uns gegenseitig „Gut Bein“ und ich verlasse das Schiff. Nach zwanzig Minuten erreichen wir das Festland, ein Wagen bringt uns zum Flughafen von Chuuk. Leider ist die kleine private Klinik ferienhalber geschlossen, einen Besuch des öffentlichen Spitals will ich meinem Bein nicht zumuten. Der Flug nach Guam dauert nur knapp zwei Stunden. Guam ist amerikanisches Territorium, theoretisch somit zivilisiert, und der grosse internationale Flughafen wird sicher über einen Arzt verfügen, der mir stärkere Antibiotika verschreiben kann.

Aber eigentlich hätte ich es ja besser wissen müssen.