Donnerstag, 11. August 2011

Der Beinfall vom Guam - Bein 2

Donnerstagmittag 7. Juli 2011. Noch befinden wir uns auf dem Flughafen von Chuuk. Monika beschwatzt Herrn Mori von Continental Airlines, uns doch zu Zweit in eine 3er-Reihe einzubuchen. Weil doch der Ehemann ein böses Bein habe und dieses deshalb hoch lagern müsse.
Ich humple demonstrativ ein paar Schritte auf und ab, obwohl mich das Bein zur Zeit nicht schmerzt. Herr Mori ist tief beeindruckt von meinem Laientheater und sichert uns zu, uns neben einem freien Sitz zu platzieren. Was Herr Mori zu dieser Zeit offenbar noch nicht wusste war die Tatsache, dass Dutzende von Passagieren mit Standby-Tickets noch auf genau solche Plätze warteten. Und so setzte sich dann auch ein fröhlicher mikronesischer Doppelwhopper auf den freien Sitz.
Der Flug nach Guam dauert jedoch nur knappe zwei Stunden und ich verspreche meinem Bein, mich anschliessend wieder um es zu kümmern.
Um Es zu kümmern? Mein Bein ist doch kein Es! Es ist mir nicht nur angewachsen (Gott sei Dank!) sondern in der Zwischenzeit auch ans Herz gewachsen. Ich werde Es deshalb mit einem gescheiten Namen versehen.
Da mein Bein wohl kaum weiblich sein kann, teste ich einige männliche Varianten. Vielleicht Garibaldi, in Anlehnung an dessen streitbare Rothemden oder gleich Barbarossa wie mein Lieblingskaiser? Auf Grund seiner Färbung könnte ich ihn auch Citterio, Schüblig oder Winnetou nennen, aber man soll ja das Schicksal nicht herausfordern. Nachdem sich der Umfang meiner rechten unteren Extremität während der Namenssuche verdoppelt hat, denke ich kurz über Israel „Izz“ Kamakawiwo’ole, den unglaublich fetten Hawaiianer mit der kleinen Ukulele und der sanften Stimme nach und lehne diese Idee umgehend ab. Das muss doch auch einfacher gehen! Ich gehe kurz in mich um mit Max Frisch wieder heraus zu kommen: „Dein Name sei Gantenbein!“

Willkommen in Guam, mein lieber Gantenbein. Du befindest dich in God’s Own Country, dem westlichsten Zipfel der USA. Guam ist amerikanisches Territorium, theoretisch somit zivilisiert und wird mehr oder weniger direkt von der amerikanischen Heimatschutzbehörde verwaltet. Und auf diesem wunderbaren Flughafen werden wir nun einen Arzt für dich finden der dir stärkere Antibiotika verschreiben wird.
Die Schlangen vor den Schaltern der Grenzkontrolle ziehen sich munter von links nach rechts durch die hoheitliche Mehrzweckhalle und ich befürchte, dass uns die Zeit nicht reichen wird. Ich setzte mich mit Gantenbein in eine Ecke und Monika macht sich auf die Suche nach Rat und Tat.
Eine erste Auskunft ernüchtert: Nein, hier gibt’s keinen Arzt. Aber das Spital wäre ganz in der Nähe, nur 5 Minuten vom Flughafen. Tönt verlockend. Allerdings werden uns Wartezeiten von bis zu fünf Stunden angedroht. Die Umsteigezeit aber beträgt knappe drei Stunden.
„Kommt gar nicht in die Tüte!“ ruft Gantenbein.
Obwohl ich es unerträglich finde, dass Beine meinen sie müssen sich in jeden Scheiss einmischen, verzichte ich auf eine rässe Antwort. In der Zwischenzeit haben sich mehrere Beamte um uns versammelt, reden alle unnütz daher, wissen gar nichts und hindern mich am nachdenken.

„Paramedics?“ fragt plötzlich eine beamtete Oberschwester. „Soll ich die Paramedics rufen?“ Tönt besser als gar nichts und ich nicke. Sie spricht in ihr 5-Kilo-Funkgerät. Nach weniger als 2 Minuten sind wir (Ich und Gantenbein, Monika sowie unsere Mitreisenden und moralischen Stützen Franco und Iris) von 8 Mannen und Frouen der guamesischen Feuerwehr umzingelt. Dreitausend Japaner beobachten fasziniert dieses Beispiel amerikanischen Powerplays. Vermutlich denken sie, dass hier ein Hollywoodschinken gedreht wird und erwarten jeden Moment den Auftritt eines Schwarzeneggers.
Ich benutze einen Moment der Unaufmerksamkeit meines Wärters, mache zwei Schritte gegen das Publikum und verneige mich tief. Ein Raunen geht durch die Menge, vereinzelt wird geklatscht.
Der Feuerwehrhauptmann holt mich abrupt in die Wirklichkeit zurück und deutet auf die mitgebrachte Bahre:
„Hospital!“.
„No!“ erwidere ich laut und deutlich. „No Hospital!“
Er nimmt Haltung an, setzt einen unglaublich wichtigen Gesichtsausdruck auf und zückt ein Formular.
„You have to sign this form - now!“
Bevor ich irgendetwas unterschreiben kann, wird mein Arm unsanft auf die Bahre gedrückt und der Oberschlauchführer der guamesischen Feuerwehr macht sich daran, meinen Blutdruck zu messen.
Die japanischen Zaungäste starten eine erste, allerdings noch zögerliche Ola-Welle, vereinzelt hörte man Hopp-Schwiiz-Rufe.

Von rechts hat sich in der Zwischenzeit ein Hilfsbrigadier in Stellung gebracht, reisst an meinem Handgelenk und misst unter erschwerten Bedingungen meinen Puls. Der Schriftführer des SWAT-Teams protokolliert peinlich genau alle Angaben. Ich finde, die ganze Situation gerät langsam ausser Kontrolle und mache mir Gedanken über mögliche Fluchtwege. Als ich jedoch plötzlich die Mündung eines Revolvers vor meinen Augen erblicke, ergebe ich mich der Allmacht des amerikanischen Imperiums und mache mir erste Gedanken darüber, ob in Guantanamo wenigsten am Sonntagabend ein Glas Wein zum Essen serviert wird.
Ich merke, dass mir Herr Gantenbein etwas mitteilen möchte, er zuckt so komisch. Ich sehe mir deshalb die Artillerie etwas genauer an. In diesem Moment drückt der uniformierte Heini ab und ein leises „Plopp“ – es könnte auch ein „Blopp“ gewesen sein – verlässt seine Waffe.
„No fever, Sir!“ meldet sich der schiessende Fiebermesser und lächelt etwas gequält. Kein Fieber, toll.

Nachdem ich nun von oben bis unten vermessen worden bin, muss ich das gelbe Formular an mehreren Stellen unterzeichnen. Obwohl das Papier einige Mängel aufweist, Schweizer immer noch nicht schwedische Staatsbürger sind und der dicke Oberfeuerwehrhauptmann locker Celsius mit Fahrenheit vermischt und das nicht vorhandene Fieber als Körpergewicht eingetragen hat: Ich unterschreibe ALLES. Nur raus aus diesem Affenkasten!

Zum Abschied gibt’s noch ein paar unverständliche Belehrungen; ich schwöre bei Gott, Vaterland und Präsident Obama das ich nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt habe und will mich von dannen machen.
„Stop!“
Diesmal ist es eine Beamtin der Heimatschutzbehörde die mich, Gantenbein und die andern darauf aufmerksam macht, dass sie die Resultate des Gesundheitschecks (sic!) dem Station Manager von Continental Airlines übergeben habe. Es sei wohl eher unsicher, dass die mich zusammen mit Gantenbein nach Manila mitnehmen würden. „Good bye – see You soon!“
Es ist Donnerstagabend, 7. Juli 2011.

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