Donnerstag, 11. August 2011

Der Beinfall von Guam - Bein 1

Vorwort

Die meisten wissen es bereits, den anderen sei es hiermit kund getan: Ich liebe die Satire, hasse Interpunktionen, Missionare und Besserwisser. Meinen deutschen Freunde sollten eigentlich wissen, dass wir in der Schweiz das scharfe ‚S’ nicht kennen und gewisse Dialektausdrücke in keinem Fall germanisieren wollen.

Einleitung

Dies ist die Geschichte einer abenteuerlichen Reise durch die Inselwelt Mikronesiens. Sie beginnt aus dramaturgischen Gründen mit dem letzten Kapitel. Es ist die Geschichte eines Beins auf der endlosen Reise nach Hause. Aus gegebenem Anlass hat die Geschichte keine Kapitel sondern Beine.



Bein 1

Dienstag, 5. Juli 2011. Ich tauche ein letztes Mal ein in die Geschichte des 2. Weltkrieges. Morgen ist ein Ruhetag angesagt bevor es zurück nach Hause geht. Der Tauchgang führt uns zum Wrack der I-169 Shinohara, einem U-Boot der japanischen Marine. Es fand hier in der Lagune von Chuuk sein nasses Grab als es aus Versehen von der eigenen Mannschaft versenkt wurde. Ein falsch interpretierter Funkspruch, ein überhasteter Notabstieg mit noch geöffneten Lüftungsrohren und stümperhafte Rettungsversuche forderten das Leben von über 60 japanischen Soldaten.

Der Tauchgang ist relativ kurz, das Heck liegt in einer Tiefe von 46 Metern, nach einer Stunde sind wir wieder zurück auf unserer Basis, der S.S.Thorfinn. Dieses Schiff war unser Zuhause während der letzten 2 Wochen. Die Thorfinn ist ein umgebauter norwegischer Walfänger der Arctic Class, das wohl letzte Dampfschiff seiner Art im Einsatz als Liveaboard für abenteuerlustige Taucher.

Der Himmel ist wie üblich leicht bedeckt, die Temperatur beträgt 31 C. Auch während des Tauchens kühlt man kaum aus, die durchschnittliche Wassertemperatur sank währen der letzten Wochen nie unter 29 Grad. Zurück an Bord wird geduscht, der Salzgehalt in der Lagune ist überdurchschnittlich, jede Geiss hätte Freude an meiner Haut zu knabbern. In der Lounge warten Getränke und kleine Snacks. Trotz der Bruthitze kommt mein Körper nicht auf Touren. Es fröstelt mich leicht, ich ziehe mir eine Windjacke über und verzichte auf den nächsten Tauchgang. Noch führe ich das leichte Unwohlsein auf die Strapazen der letzten Wochen zurück. Das Mittagessen wird mich sicher wieder
aufbauen.

Nach ein paar Bissen aber ist Schluss, ich friere. Aus dem kurzen Nickerchen wird ein unruhiger Schlaf. Schüttelfröste durchziehen meinen Körper, es ist kalt. Kalt. Bei geschätzten 35 und gefühlten 45 Grad Celsius. Monika verabreicht mir erste Dosen Alcacyl und versucht mir Flüssigkeit einzuflössen. Nicht ganz einfach bei einem Patienten der nicht mehr im Stande ist, ein Glas selbst zu halten. Ich schüttle weiter, wälze mich unruhig hin und her. Die Bettlaken sind in Kürze völlig nass. In meinen fiebrigen Träumen (die ich nicht hatte und deshalb erfinden muss) steht die ganze Kabine unter schweisshaltigem Wasser. Die Lichter flackern, verdunkeln sich, japanische Soldaten entsteigen einem U-Boot und schwimmen auf mich zu. Sie haben keine Gesichter.

Mehr Alcacyl, Wasser, Monika füttert mich mit fischen Früchten aus der Bordküche. Ich rauche nicht mehr was mich ausserordentlich beunruhigt und schüttle weiter ungemütlich vor mich hin. Alcacyl, Wasser, Früchte. Und immer wieder Eiswickel gegen das Fieber. Gegen Mitternacht tritt eine erste Beruhigung ein, ich schlafe mehr als ich schüttle. Monika übernimmt die Nachtwache und flösst mir regelmässig Wasser ein. Gegen Morgen schleppe ich mich aufs Deck und nippe an einer Tasse Tee.

Mittwochmorgen 6. Juli 2011.: Es ist kurz vor Sechs und eigentlich wäre ein tropischer Sonnenaufgang angesagt. Wird jedoch wohl nicht stattfinden. Der Himmel ist grau, aus allen Himmelsrichtungen nähern sich Regenfronten. Ich zünde mir einen Zigarillo an und weiss: ich habs geschafft.
Das Laufen bereitet mir noch etwas Mühe, das rechte Bein schmerzt. Als ich mir den Unterschenkel genauer ansehe werde ich nachdenklich. Ein roter Strich zieht sich vom Fuss Richtung Knie. Es fühlt sich heiss an und schmerzt. Und es sieht genau so aus wie das Bein unseres Captains bei dem zwei mitreisende Ärzte eine schwere Infektion diagnostiziert haben. Allerdings hatte er sich zuvor im Maschinenraum leicht verletzt. Ich jedoch kann bei mir keine Verletzung feststellen. Gut, ein paar kleine Schrunden an den Zehen, kaum zu sehen.

Schwester Monika greift zu deutlich schwererem Geschütz: Antibiotika, Entzündungshemmer, Schmerzmittel. Eis auflegen, Bein hoch lagern, Flüssigkeit trinken. Der Tag wird lang und länger, die Nacht will nicht enden. Doch morgen geht’s nach Hause – wird schon alles schief gehen, grosses Indianerehrenwort.

Donnerstagmorgen 7. Juli 2011. Das Morgenrot hat keine Chance gegen die aufgehende Röte an meinem Bein. Auch der Oberschenkel ist jetzt rot. Wussten sie dass es so viele Nuancen von Rot gibt? Monika hat bereits gestern unsere Koffer gepackt, ich hätts allein wohl nicht gepackt. Ach ja, auch das noch: Eine der Zehen ist über Nacht ergraut und ähnelt leicht einem vergammelten Wienerliabschnitt.

Gegen 09.00 verabschiede ich mich vom Captain. Ob ich an Weihnachten auch mit nur einem Bein zurück kommen könne, möchte ich von ihm wissen. Klar. Wir werden dir dann allerdings zusätzlich eine Augenklappe (schwarz) verpassen und dir einen besoffenen Papagei (farbig) auf die Schulter binden. Noch weiss ich nicht, wie ich die Flossen am Holzbein fixieren werde beschliesse jedoch, mir vorläufig keine Gedanken darüber zu machen. Wir wünschen uns gegenseitig „Gut Bein“ und ich verlasse das Schiff. Nach zwanzig Minuten erreichen wir das Festland, ein Wagen bringt uns zum Flughafen von Chuuk. Leider ist die kleine private Klinik ferienhalber geschlossen, einen Besuch des öffentlichen Spitals will ich meinem Bein nicht zumuten. Der Flug nach Guam dauert nur knapp zwei Stunden. Guam ist amerikanisches Territorium, theoretisch somit zivilisiert, und der grosse internationale Flughafen wird sicher über einen Arzt verfügen, der mir stärkere Antibiotika verschreiben kann.

Aber eigentlich hätte ich es ja besser wissen müssen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen