Donnerstag, 11. August 2011

Der Kniefall von Guam - Bein 4

Das gebuchte Hotel erweist sich als Glücksfall. Neben unzähligen Restaurants und einem Spielcasino beherbergt es tatsächlich eine kleine Klinik. Ein kurzer Anruf und bereits wenige Minuten später klopft es an der Zimmertür: Eine veritable Krankenschwester, weiss gekleidet von Kopf bis Fuss und ausgestattet mit apartem Köfferchen, betritt das Zimmer. Ihr bewaffneter (!) Leibwächter wartet indessen vor der unverschlossenen Türe. Offenbar erwarten gewisse Hotelgäste von einer „Nurse“ auch nicht-medizinische Behandlungen. Während sie Herrn Gantenbein inspiziert (er scheint dabei etwas zu erröten) seufzt sie tief und verspricht mir, am nächsten Morgen den Arzt zu verständigen, nicht ohne mich auf mögliche Folgekosten aufmerksam zu machen. Sie organisiert beim Hausdienst ein paar zusätzliche Kissen – damit ich Gantenbein auch schön brav hoch lagern kann – und verabschiedet sich samt Leibwächter.

Freitagmorgen 09.00 Uhr, Manila, Heritage Hotel. Die Hotelärztin erscheint mit Nurse und Leibwächter und will mich sofort in ein Krankenhaus einliefern. Ich widerstehe diesem Ansinnen, bitte sie jedoch um zusätzliche Dosen Antibiotika. Sie verschreibt mir Augmentin und lässt das Medikament von einem Hotelkurier in einer Apotheke abholen. Die Kosten dafür belaufen sich – inklusive Lieferung – auf knapp über 1'000 Pesos, gerade mal etwa CHF 26.— . Die Einsätze der Dottoressa inkl. Krankenschwester werden mir vom Hotel mit CHF 25.— in Rechnung gestellt: Meine Krankenversicherung wirds ungemein freuen.

Gegen Abend fahren wir zum Flughafen. Einmal mehr bewährt sich unsere Aufgabenteilung: Monika verhandelt mit dem netten Mitarbeiter von Singapore Airlines über einen besonders beinfreundlichen Platz, ich versuche etwas leidend zu wirken ohne jedoch zu übertreiben, Gantenbein schweigt. Und so sitzen wir auf dem Flug von Manila nach Singapur tatsächlich auf Plätzen mit viel Freiraum für Herr Gantenbein. Er wird wie üblich höher gelegt, tüchtig gesalbt und laut gepriesen („Ein Halleluja für ein Bein“).

Bevor das Nachtessen serviert wird studiere ich den Beipackzettel des Antibiotika. Angesichts der angedrohten Nebenwirkungen dürfte es bei vielen Menschen zu sogenannten Spontanheilungen kommen. Nicht so bei mir und ich bestelle – Mediziner sollten diesen Satz nicht zu Ende lesen – bei der schönen Maid ein Glas Rotwein. Gantenbein verdankt mir den medizinischen faux-pas und gibt Ruhe.

Samstagmorgen 01.00 Uhr, Flughafen Singapur. Der letzte Flug steht bevor, gegen Morgen werden wir in Zürich landen, Monika hat beim Hausarzt bereits einen Termin erhalten. Gott sei Dank haben wir sogenannten „preferred seats“ gebucht, es handelt sich um Plätze neben einen Notausgang. Nicht das ich gedenke, diesen zu benutzen, aber der freie Platz davor ist gigantisch (schliesslich befinden wir uns auch im Upperdeck eines brandneuen Airbus 380).
Da sich jedoch auf solchen Plätzen nur „unversehrte Menschen“ niederlassen dürfen, muss ich mit Herrn Gantenbein noch ein paar ernsthafte Worte wechseln.
„Du wirst dich ab jetzt völlig ruhig verhalten, weder sinnlos zucken, zittern oder zabeln und vor allem hältst du dein vorlautes Maul, ist das klar?“
Gantenbein zickt.
„Warum musst du auch mit mir um die halbe Welt fliegen, Rimini hätt es doch auch getan!“
Ich gedenke nicht, ihm zu antworten. Beine haben immer das letzte Wort!

Irgendwo über Afghanistan meldet sich Gantenbein zurück. Ich schleppe mich zur Bordtoilette und sehe ihn mir etwas genauer an. Offenbar ist er immer noch beleidigt und hat beschlossen, sich noch ein paar neue Symptome zuzulegen. Eine ganze Familie von Blasen überzieht den Oberschenkel. Die Grösse variiert zwischen Oberbaselbieter Kirschen und Fellenberger Zwetschgen. Eine aber beunruhigt mich ausserordentlich. Sie gleicht verblüffend dem Kopf von E.T., wächst direkt aus der Kniekehle und hat die Grösse eines Weinbergpfirsichs. Vorsichtig berühre ich meinen neuen ausserirdischen Freund. Das hätte ich besser bleiben lassen! Er bedankt sich für die Streicheleinheit indem er kurzerhand explodiert und die halbe Toilette versaut. Ich reinige den Airbus so gut es geht und schleiche zu meinem Sitz zurück.

Samstagmorgen, 11.00 Uhr, fast zu Hause. Auf dem Weg vom Flughafen nach Hause stoppen wir beim Hausarzt. Er weist uns direkt als Notfall ins nächste Spital ein.
Bevor sich ein Mediziner um das Bein kümmern kann, werden wir administrativ begutachtet. Ich erzähle dem Wächter der Heiligen Pforte von Herr Gantenbein und seinem Unglück. Ich kann ihn nur knapp daran hindern mich in die Psychiatrie einzuliefern und versuche ihm klar zu machen, dass doch Gantenbein nur der Künstlername meines Beines sei. Die nächste Fragebringt die Verhandlungen zum Stocken.

„Unfall oder Krankheit?“
„Keine Ahnung, wissen Sie……“
„Unfall oder Krankheit?“
„Es könnte beides sein.“
„Unfall oder Krankheit?“
„Was war zuerst? Das Huhn oder das Ei?“ frage ich ihn.
„Wieso?“
„Weil ich nicht weiss ob zuerst die Fliege war, oder eine Kokke oder vielleicht wars doch Hugentobler der mir auf den Fuss gestanden ist.“
„Gut, dann nehmen wir die Krankheit. Wann wurden sie krank?“
„Keine Ahnung.“
„Wann wurden sie krank!?“
„Vielleicht wars doch ein Unfall, wissen sie…..“
„WANN W-U-R-D-E-N sie krank?“
„Vielleicht am Montag?“ frage ich zurück. „Es könnte aber auch am Mittwoch gewesen sein. Oder am Samstag.“

In der Zwischenzeit hat sich eine lange Kolonne mit Notfällen gebildet. Um das Verfahren abzukürzen und mögliche Todesfälle zu verhindern, wende ich mich an den Hintermann.

„Sagen sie mir eine Zahl zwischen 1 und 30.“
„29!“ – ruft er und ich wende mich erleichtert an den Hausmeister.
„Am 29. Juni 2011!“
„E voilà! Geht doch!“


Die Geschichte findet hier ihr vorläufiges Ende. Geschrieben allerdings wurde sie noch nicht.


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